03.03.2018


Von Chancen und Hoffnungen

Gemeinschaftsunterkunft Rahnsdorf im Jahr 3 nach der Eröffnung

Firas, 30 Jahre alt, Maler. Firas kam 2015 nach Deutschland. Auf dem Weg, der viele Menschen das Leben gekostet hat: über das Mittelmeer. Nach einer Odyssee durch Notaufnahmeeinrichtungen und vielen Stunden vor und im LAGESO war der junge Syrer im Februar 2016 in der Gemeinschaftsunterkunft Hessenwinkel angekommen. Dort blieb er bis Dezember 2017.

Ein freundlicher junger Mann, der in seiner zurückhaltenden und gleichzeitig aufmerksamen und umsichtigen Art ein angenehmer Hausgenosse war. Sein Aufenthaltsstatus gab ihm zunächst drei Jahre Schutz. Er lernte Deutsch und konnte im Januar 2018 eine kleine Wohnung der Degewo in Hirschgarten beziehen. Seine Berufsangabe Maler ist nicht einfach dahingesagt. Firas hat das Handwerk wirklich gut gelernt. Wer ihn in seiner Wohnung besucht, ist beeindruckt. Von Renovierungs­bedarf war die Rede und Firas hat aus der abgewohnten Bleibe eine kleine Oase gemacht. In einem Haus mit überwiegend älteren Bewohnern in einer überschaubaren Nachbarschaft in Hirschgarten fällt Firas natürlich auf, und zwar durchweg positiv: Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gepaart mit handwerklichem Geschick. Für die Nachbarn ist Firas schon der heimliche Hausmeister. Seine Tipps sind begehrt, seiner Hilfsbereitschaft setzt nur das deutsche Arbeitsrecht Grenzen. Vor allem aber muss Firas erst seine Deutschkurse beenden und seine Sprachprüfung bestehen. Wenn er dann endlich als Maler arbeiten darf, wird er sich vor Aufträgen kaum retten können.

Das Haus, in dem Firas seine ersten Schritte in Deutschland unternommen hat, wird vom Unionhilfswerk betrieben. Ende Februar 2018, ich treffe die Hausleiterin, Frau Pouryamout und die stellvertretende Hausleiterin, Frau Nickolai. Was seit dem Erstbezug passiert ist, wie sich das Haus entwickelt und die Bewohnerschaft verändert hat, möchte ich wissen. Und ob es besonders bemerkenswerte Menschen oder interessante Lebensläufe gibt. So erfuhr ich von Firas.

Wohnungssuche

Das Unionhilfswerk hat, wie andere Betreiber von Flüchtlingsunterkünften auch, eine Kooperationsvereinbarung mit einer Wohnungsbaugesellschaft. Die Zusammenarbeit sei sehr gut, lobt die Hausleitung des UHW Rahnsdorf. Man bemühe sich, vorrangig Bewohner zu vermitteln, die eine gute Bleibeperspektive und Integrationsprognose haben. Die Degewo könne sich auf die Empfehlungen aus dem Rahnsdorfer Haus verlassen. So wie Firas. Ein Problem gebe es jedoch immer wieder: Wohnberechtigungsscheine weisen genau die Anzahl Räume aus, die der Anzahl an Familienmitgliedern entspricht. Viele Familien mit Fluchthintergrund sind groß. Es gibt aber viel zu wenig große Wohnungen. Die Familien sind jedoch fast ausnahmslos bereit, in eine kleinere Wohnung zu ziehen, beispielsweis drei Räume für eine fünfköpfige Familie. Aber die Wohnungsbaugesellschaft darf eine solche Wohnung nicht vermieten und das zuständige Jobcenter nicht genehmigen: „Damit haben wir uns ein unnötiges Problem geschaffen“, so die Hausleiterinnen in Hessenwinkel.

Schulbesuch und Willkommensklassen

Es wird großer Wert darauf gelegt, dass die Kinder pünktlich zur Schule gehen. Dafür werde auch schon mal heftig an die Zimmertür geklopft. Nicht alle Kinder besuchen die örtlichen Schulen, manche nehmen weite Wege auf sich. Das habe mit der Fluktuation zu tun, das Haus sei ja keine Dauerlösung. Die Zahl geflüchteter Menschen ist rückläufig. Die Sprachkenntnisse insbesondere der Kinder sind oft bemerkenswert gut. Schade sei trotzdem, dass es keine Willkommensklasse an der Rahnsdorfer Grundschule mehr gebe. Die Kinder der Gemeinschaftsunterkunft Hessenwinkel gehen dort in Regelklassen. Meistens, aber nicht immer, mit guten Sprachfortschritten. Die Kinder im Grundschulalter, die noch gar keine Deutschkenntnisse haben, besuchen die Willkommensklasse der Müggelschlößchenschule.

Haus Hessenwinkel

Das Unionhilfswerk betreibt drei Häuser. Das Haus Hessenwinkel gilt als kleine Einrichtung. In Rahnsdorf sind weitere Einrichtungen für geflüchtete und wohnungslose Menschen entstanden. Aus der Platznot von 2015 und 2016 ist berlinweit ein Überangebot an Plätzen geworden. Entspannung auf einem einst angespannten Markt. Derzeit wohnen 132 Menschen im Haus, darunter überwiegend Afghanen, gefolgt von Irakern und Syrern. Aus der afrikanischen Militärdiktatur Eritrea kommen derzeit nur drei Bewohner. Zehn Babys sind im Haus, 18 Kinder sind 1-5 Jahre alt, 19 Kinder sind 6-11 Jahre alt, vier sind 12 Jahre und älter.

Für die gute Atmosphäre im Haus und in der Nachbarschaft sorgte die Plakataktion "Rahnsdorf hilft" und die Initiative des Unterstützerkreises, der unter dem Dach der evangelischen Kirche und mit teilweise weit über hundert Ehrenamtlichen für ein freundliches Willkommen warb und vor Ort half. Viele Rahnsdorfer sind immer noch in der Flüchtlingshilfe engagiert. Meist leise und unaufgeregt, organisierte Hilfe ist nicht mehr erforderlich, das Helfernetzwerk sei gut eingespielt. Die Zusammenarbeit mit dem benachbarten KiezKlub sei hervorragend, ebenso mit der Freiwilligenbörse. Die Teilnahme an den jährlichen Antirassismus-Wochen und regelmäßigen Frühjahrs- und Herbstputz-Aktionen selbstverständlich.

Wenn Sie drei Wünsche hätten …

Kerstin Pouryamout und Anja Nickolai müssen nicht lange überlegen:

Die Kleiderkammer, einst von vielen gutmeinenden Spendern überfüllt, braucht Nachschub: alle jahreszeitlich geeigneten Kindergrößen und kleine Erwachsenengrößen. Die meisten Menschen aus den Herkunftsländern sind kleiner als der deutsche Durchschnitt.

Das Freitagsnachmittags-Café, als regelmäßige Begegnungsstätte von Mitgliedern des Unterstützerkreises gegründet, freut sich über mehr Besucher und Helfer. Jeden Freitag von 16:00 bis 18:00 Uhr im Untergeschoss des Hauses. Paten gesucht.

Der innigste Wunsch kommt zum Schluss. Insbesondere die Mütter hätten Scheu, mit ihren kleinen Kindern raus zu gehen und Kontakte zu anderen jungen Eltern zu suchen. Dabei täte es allen gut, wenn die Hausbewohner öfter aus ihren engen vier Wänden raus kämen. Ein kleiner Impuls, vielleicht von einem Besuch im Freitagscafé ausgehend, reiche schon.

Das nächste Gespräch nehme ich mir für einen Freitagnachmittag vor, von 16:00-18:00 Uhr im Begegnungscafé des Hauses.

Karin Zehrer

 

Bild: Zur freien Nutzung freigegeben (Titel und Bild Stefan Mensah)


  Von: Karin Zehrer